Familienunternehmen als Form des nachhaltigen Kapitalismus

11.03.2021 | Autor: Markus Weishaupt | Lesedauer: 9 Minuten

Die DNA der besten Familienunternehmen ist krisenresistent. Ihre Verbreitung könnte die ersehnte Wirtschafts- und Gesellschaftsform der Zukunft sein.

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Zum 16. Mai 2020 zählt die traurige, anonyme Statistik über 300.000 Covid-19 Tote weltweit, davon ca. 88.000 in den USA, 31.000 in Italien, 27.000 in Spanien, ebenso viele in Frankreich, 34.000 im Vereinigten Königreich. Die nüchternen Zahlen verbergen die Einzelschicksale. Sie verbergen den tragischen Tod eines jeden einzelnen Menschen und das Menschen unwürdige Trauern auf Distanz, das sogar bei den Beerdigungen in den überlasteten Friedhöfen nicht Halt macht, das Gefühl der subjektiven Machtlosigkeit gegen einen unsichtbaren, weltweit agierenden Feind. Für Menschen, die in diesen Zeiten ihre Lieben verlieren ist es ein Affront, wenn Mitbürger social distancing ausfallend kritisieren, für Herdenimmunität und Freiheit plädieren und jene, die das nicht verstünden, zu Ignoranten abstempeln.

KRISEN SCHAFFEN POLARISIERUNG.

Die Covid-19 Krise ist ein treffender Anlass, über die Zukunft, in der wir und unsere Kinder leben wollen, nachzudenken und die Weichen zu stellen für ein künftig gutes Leben. Und weil es „kein richtiges Leben in einem falschen gibt“, um es mit Theodor W. Adorno zu sagen, machen sich derzeit renommierte Zukunftsforscher, Philosophen, Soziologen, Pädagogen, Politiker, Künstler, Wirtschaftswissenschaftler, Unternehmer, Angestellte, eigentlich mehr oder weniger die gesamte Bevölkerung, Jung und Alt, Gedanken über das zukünftig richtige Leben. Covid-19 hat es nicht nur geschafft, die Weltwirtschaft lahm zu legen und das Verhalten von Milliarden Menschen kurzfristig völlig zu verändern, es fördert auch ein breites, globales Nachdenken. Vielleicht treten wir gerade in eine neue Ära der Aufklärung, in welcher wir uns endlich mit Kant‘schem Mut unseres eigenen Verstandes bedienen, um die globalen wirtschaftlichen, soziologischen und ökologischen Zusammenhänge ungeschminkt sichtbar zu machen und zukunftsfähig zu gestalten.

So hat das Besinnen auf regionale Kreisläufe derzeit Hochkonjunktur. Alles Lokale sei gut, alles Globale schlecht, denn die Krise habe gezeigt, dass die weltweiten Wertschöpfungsketten einer Covid-19 Pandemie nicht gewachsen seien und sich somit nicht nur als ungerecht, sondern auch als krisenanfällig entpuppt hätten. Sie habe gezeigt, dass die Produktionsballungszentren zum Beispiel in Indien für Medikamente, oder in China für medizinische Schutzausrüstung strategische Abhängigkeitsrisiken nicht nur von Unternehmen, sondern ganzer Staaten in sich bergen. Sie habe gezeigt, dass wir uns auf Regionales verlassen können und auf Globales nicht. Die Krise bietet Ankerpunkte für Debatten zur bis dato kläglich gescheiterten Klimapolitik, für die Überlebenswichtigkeit funktionierender, großzügig ausgestatteter Gesundheitssysteme, für die wenig wertgeschätzten Berufsgruppen der Krankenpfleger, Reinigungskräfte und Verkäufer, für die Finanzierungsmethoden der neuen Staatsschulden, für die Überlebenskämpfe der Unternehmen, egal ob große Konzerne oder mittlere und kleine Familienbetriebe.

Die Debatten sind wertvoll. Sie zeugen von weit durchdringendem Interesse an grundlegenden Fragen des Lebens und Zusammen-Lebens. Sie zeugen davon, dass der Druck eines gewichtigen Problems weit mehr auslöst als die Attraktivität jeder noch so reizvollen Vision. Die immense Kraft, die ein unsichtbares, lebensgefährliches, kleines Virus freisetzt ist imstande Menschen freiwillig in Quarantäne zu begeben, Schulen und Fabriken zu schließen, Veranstaltungen jeglicher Art abzusagen, ja sogar Fußballmeisterschaften vorzeitig zu beenden und Olympiaden zu verschieben. Unmögliches wird plötzlich, wie selbstverständlich möglich. Die Visionen eines ökologisch sauberen Planeten, der Gender-Gerechtigkeit, der gerechten Umverteilung von Vermögen, der Eindämmung der Waffenlobby inklusive Verbot von Waffenbesitz, der gerechten Besteuerung von Gewinnen multinationaler Konzerne, des weltweiten Verbotes von Kinderarbeit oder ganz einfach der Einhaltung der internationalen Menschenrechte, all das sind Visionen die weniger Kraft zu haben scheinen als das riesige, immediate Covid-19 Problem.

Viele sind der Meinung wir seien an einem historischen Scheideweg angekommen, einer geschichtlichen Chance für das nachhaltige Verändern unserer Lebensprinzipien, und dabei meint man nicht Webinars als Alternative zur Veranstaltung oder Homeoffice als die neue Art des Arbeitens. Der Scheideweg, an den uns das Virus geführt hat, betrifft überfällig anstehende Entscheidungen zum Thema Globalisierung, Grundeinkommen, Klimapolitik, Gesundheitswesen, Digitalisierung und der eine oder andere führt auch das Thema Ungleichheit, sprich Vermögens- und Einkommensungleichheit, an. Infrage gestellt wird letztlich unser Wirtschaft- und Gesellschaftssystem, auf dem unser Wohlstand gründet, der Kapitalismus. Wird Corona der Anlass für tiefgreifende Veränderungen unseres Kapitalismus sein?

Meine Einschätzungen als Family Business Experte und Professor an der FH Kufstein, University of Applied Sciences, der sein Leben mit kleinen, mittleren und großen Familienunternehmen im Alpenraum verbringt und diese international in ihren Entwicklungen unterstützt, sind geprägt von den Erfahrungen mit Familienunternehmen, Unternehmerfamilien und deren Mitarbeitern. Sie sind geprägt von ihren Fehlern und ihren Erfolgen, von Hochkonjunkturphasen und Krisenperioden. Diese Krise wird die DNA erfolgreicher Familienunternehmen nicht verändern. Im Gegenteil, diese Krise wird die DNA der besten weiter festigen und sie werden wieder, so wie bereits in der großen Finanzkrise, als Gewinner hervorgehen.

Bereits jetzt zeigt sich, dass seriöse Familienunternehmen umso mehr ihre Werte nun leben, dass sie zu ihren Mitarbeitern halten, auch wenn es schwierig ist. Dort wo erlaubt, werden Mitarbeiter z.B. in Schichten eingeteilt und dürfen arbeiten, nicht nur einige, sondern alle. Zwar etwas weniger, aber alle erhalten somit ihr Einkommen. Loyalität wird gelebt. Die Werte des ehrbaren Kaufmanns, der nicht nur auf sein Auskommen bedacht ist, sondern auch auf jenes seines sozialen Umfeldes, sind gefragter denn je. Die starke Kapitalausstattung erfolgreicher Familienunternehmen, die man letzthin in Finanzkreisen wieder angefangen hat als unökonomisch zu kritisieren, weil die Zinsen für Fremdkapital so niedrig seien, beweist sich wiederum als Stabilitätsfaktor. Eigenkapitalquoten von über siebzig Prozent sind plötzlich nicht mehr unproduktiv, sondern garantieren Unabhängigkeit nicht nur in der Krise, sondern vor allem auch in der Nach-Corona-Zeit. Denn der Aufbau kostet Geld. Es braucht einen langen Atem. Die Entscheidungsschnelligkeit gepaart mit Innovationskraft beweist sich wiederum als Wettbewerbsfaktor. So werden z.B. Produktionsunternehmen umgebaut und aus Kunsttischlereien werden Covid-19 Plexiglaswand Hersteller für den Einzelhandel, die Corona Schutzwände für das Verkaufspersonal und deren Kunden liefern. Schutzmaskenproduktionen werden in kürzester Zeit von traditionellen Textilherstellern hochgefahren und Melitta stellt plötzlich nicht nur Kaffeefilter, sondern auch Schutzmasken her. Der Online Service boomt und fast jedes kleine Geschäft bietet nun auch Lieferservice an, egal ob Blumen, Pizza, Lebensmittel oder Produkte für den Garten. Die Welt der Familienunternehmen ist durch Anpassungsfähigkeit geprägt.

Familienunternehmen sind resistent, kreativ, innovativ und finden immer wieder neue Wege, den Fortbestand zu sichern. Sie passen kurzfristig auch Management und Führungsstrukturen an die neue Realität an, sind dadurch schnell und sehr effizient. Viele haben in den erfolgreichen Jahren nach Lehmann Brothers die Zeit bewusst genutzt, ihre Stabilität und Solidität zu stärken, im Bewusstsein: Die nächste Krise kommt bestimmt. Aber nicht alle hatten diese Weitsicht. Einige haben sich von der Niedrigzinspolitik zur Verschuldung und Überschuldung verleiten lassen. Mögen sie überleben, mit Hilfe der Finanzspritzen des Staates und Europas und einer schwierigen Zeit der Rückzahlung dieser Kredite in den kommenden Jahren. Vor allem aber mögen sie daraus die Lehren ziehen, denn die nächste Krise kommt bestimmt.

Einige behaupten, die Internationalisierung sei nun endgültig vorbei und, dass eine starke Internationalisierung zukünftig sogar schädlich sei. Das erkenne man an international agierenden Unternehmen und an exportabhängigen Staaten, die anscheinend mehr leiden werden als andere. Diese These wird sich als falsch herausstellen. Gerade international tätige Unternehmen werden auch in Zukunft, so wie in der derzeitigen Krisenzeit auch, sofern ihnen erlaubt ist zu produzieren, einen Wettbewerbsvorteil haben. Wer international agiert streut das Risiko, denn Krisen in einem Land können von anderen kompensiert werden. Krisen sind schließlich nicht immer global, im Gegenteil, die meisten sind sogar auf ein mehr oder weniger großes Gebiet beschränkt. Was wenn die Krise gerade in der Region ausbricht, in welcher ein Unternehmen tätig ist, es aber keine anderen Märkte hat? Internationalisierung ist und bleibt auch für die Zukunft ein wesentliches DNA-Kriterium erfolgreicher Familienunternehmen.

Lassen wir uns in der guten Führung und Steuerung von Familienunternehmen durch diese Pandemie nicht beirren. Wer mit Bedacht, etwas Abstand und reflektiert agiert, der wird zum Ergebnis kommen, dass die DNA erfolgreicher Familienunternehmen durch diese Krise nicht verändert wird, sondern, dass gerade diese DNA den erfolgreichen Familienunternehmen wieder ihr Überleben sichern wird. Sie werden gestärkt aus diesem fast surrealen Jahr 2020 hervorgehen, denn ihr Geschäftsmodell beweist sich weiterhin als krisenresistent.

Seriös geführte Familienunternehmen haben das Potential viele der einleitend beschriebenen Makro-Probleme positiv zu beeinflussen. Eine Welt von Familienunternehmen, von KMU’s, eine Welt des sogenannten Mittelstandes, die durch ihre einzigartig gelebte DNA es gewohnt ist nachhaltige, generationenübergreifende Entscheidungen zu treffen, könnten das Wirtschafts- und Gesellschaftssystem der Zukunft verkörpern und wesentlich dazu beitragen einen umsichtigen, zukunftsfähigeren Kapitalismus zu schaffen.

Man könnte meinen, dass die hohe Anzahl der Familienunternehmen, die weltweit ca. 75% aller Unternehmen ausmacht und in vielen Europäischen Staaten noch höhere Prozentsätze erreichen, diesen Kapitalismus bereits hätten schaffen können. Leider ist der Einfluss der Riesenkonzerne und jener der weltweit agierenden Finanzbranche immer noch um ein Vielfaches höher und prägender als die große Zahl der Familienbetriebe.

Zum Verständnis bietet sich eine Analogie an: Etwa 1% der Weltbevölkerung besitzt mehr als die Hälft des Weltvermögens. Man ist sich grundsätzlich einig, dass die Macht dieser Elite so unglaublich groß ist, dass selbst Milliarden Menschen ihnen bis dato so gut wie nichts anhaben konnten. Familienunternehmen des Mittelstandes sind anfassbar, sie sind nicht anonym, nicht so groß und mächtig wie weltumspannende Riesenkonzerne, deren Kapitalisierung größer ist als jene ganzer Staaten. Sie sind nie too big to fail und als Einzelunternehmen sind sie nie systemrelevant. Langfristgig erfolgreiche Familienunternehmen sind radikal anders, weil sie von ihrer Wurzel her anders sind. Ihre Herkunft, ihr Sinn, ihre Ziele, ihre Art des Arbeitens, Wirtschaftens und die Kriterien, aufgrund welcher Entscheidungen getroffen werden, sind grundlegend unterschiedlich zu anderen Unternehmensformen. Nachhaltig erfolgreiche Familienunternehmen sind auch deshalb radikal anders, weil ihre Geschäftsmodell-DNA nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, sondern weil sie es kompromisslos leben und sie dadurch ihr generationen-übergreifendes Überleben sichern. Wenn man es schaffen würde, das bisher sehr selektive Leben der DNA der besten Familienunternehmen zum allgemein erstrebenden Standard zu erheben, dann könnte dies das Grundgerüst eines neuen, erstrebenswerten Wirtschaftens und Lebens sein. Eine Chance für unsere Gesellschaft, unsere Wirtschaft, unsere Umwelt. Eine Chance für unsere Generation und die Generationen nach uns.

Markus Weishaupt ist Family Business Experte, geschäftsführender Gesellschafter von Weissman International www.weissman-international.com, Professor an der FH Kufstein-University of Applied Sciences, Entwickler des Family Business Model www.familybusinessmodel.com, Keynote Speaker, Autor zahlreicher Artikel und verschiedener Bücher zur Welt der Familienunternehmen, unter anderem „Radikal anders. Die DNA erfolgreicher Familienunternehmen.“ Campus Verlag. Als Unternehmensberater begleitet er Familienunternehmen und Unternehmerfamilien in strategischen, organisatorischen und Führungs-Fragen und als Mitglied von Verwaltungs- und Beiräten.